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Die verrückte Geschichte hinter den künstlichen Stadion-Sounds

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Gefakte Stadionatmosphäre ist so eine Sache. Während die einen gut auf die künstlichen Sounds verzichten können, ist es für die NFL die beste Möglichkeit, den Fans zuhause auf dem Sofa ein "authentisches" Fernseherlebnis zu bieten. Denn durch die Corona-Pandemie war die Football-Liga 2020 plötzlich vor eine neue Herausforderung gestellt – komplett oder zum Großteil leere Stadien bei allen 32 Teams. Und das hatte es in der NFL in der Form noch nie gegeben …

Ein kleines Gedankenspiel: Kurz nachdem das Coronavirus Ende Februar / Anfang März weltweit in aller Munde war, hätten Wissenschaftler der führenden Forschungsunternehmen bestätigen können, dass sie schon jahrelang an einem Heilmittel für genau solch ein Szenario gearbeitet hätten. Dank der Forschung wäre wenige Monate später ein Impfmittel bereit zum Einsatz gewesen – was wäre das für ein anderes Jahr 2020 gewesen. 

Ohne Frage ein total utopisches Szenario und die Dankbarkeit ist groß, dass auch so schon Ende 2020 die ersten Impfstoffe an den Start gehen konnten. Doch auf einer total anderen Ebene hat so eine frühzeitige Entwicklung funktioniert. Es gab eine Lösung für ein Problem, das vor 2020 niemand hat kommen sehen. Wo bekommt man Tonmaterial her, mit dem man Stadion-Sounds authentisch nachstellen kann?

Schon im Frühjahr 2020 hatten andere professionelle Sportligen in den USA und auch in Europa angefangen, sich Corona-bedingt mit diesem Problem auseinanderzusetzen. Als auch der NFL klar wurde, dass in der kommenden Saison keine Fans in den Stadien erlaubt sein würden, wandten sich die Verantwortlichen an NFL Films, das Archiv für Ton- und Videomaterial der Liga, und baten um eine Lösung. Die Antwort war ziemlich überraschend.

"Nun", sagte Vince Caputo, ein 36-jähriger Mitarbeiter, ziemlich sachlich, "ich habe all diese Aufnahmen … wir können versuchen, sie zu nutzen."

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Doch damit nicht genug. Es sollte ein weitaus ambitioniertes Projekt werden, als die meisten es anfangs überhaupt absehen konnten. Die künstliche Stadion-Atmosphäre sollte nicht einfach so zu einem NFL-Spiel passen, sie sollte passgenau zu den Heimspielen des jeweiligen Teams angefertigt sein. Wenn die New England Patriots also im Gillette Stadium antreten, dann sollte auch der Fake-Sound des Spiels für die Fernsehübertragung aus dem Gillette Stadium kommen – und nicht aus irgendeinem anderen NFL-Stadion.

"Alle hielten das für eine gute Idee", erinnert sich Caputo und fügt schmunzelnd hinzu: "Es war wahrscheinlich viel ehrgeiziger, als uns damals klar war. Diese Aufnahmen durchzugehen, sie zu bearbeiten und zu katalogisieren, war ein mühsamer Prozess."

Eine wichtige Entscheidung vor 4 Jahren

Doch dass überhaupt so viel Material bei NFL Films vorhanden war, verdankt die Liga einer glücklichen Fügung. Schon 2016 wurde im Hauptquartier des Archivs in Mount Laurel, New Jersey, etwa eine halbe Autostunde von Philadelphia gelegen, beschlossen, die etwas veraltete Bibliothek mit Tonaufnahmen zu modernisieren. Der Football, die Spieler, Trainer, Besitzer, Fans und Stadien hatten sich im Laufe der Jahre verändert. Auch die Technologien, die verwendet wurden, um die denkwürdigen Klänge zu sammeln, hatten sich weiterentwickelt. Caputo, Vizepräsident bei NFL Films und verantwortlich für alle Audioabteilungen, und seine Kollegen entschieden sich dafür, neues Tonmaterial aufzunehmen, mit dem sie ihre unzähligen Dokumentarfilme und anderen Programme produzieren konnten. Genauer gesagt brauchten sie neue Publikumsgeräusche.

Im Jahr 2016 begann die Tonabteilung daher ganz unauffällig damit, neue Aufnahmen von den Stadien aller 32 NFL-Teams zu machen, wobei die Mikrofone und die dazugehörige Ausrüstung direkt auf die Tribünen und nicht auf das Spielfeld gerichtet wurden, um den einzigartigen Sound der Zuschauer jedes Stadions einzufangen.

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Während der nächsten vier Football-Saisons besuchten die Tontechniker von NFL Films jedes Stadion mindestens einmal. Im Fall des Gillette Stadium mussten sie sogar ein zweites Mal kommen.

"Beim ersten Mal", erklärt Caputo, "erzielten die Patriots nur einen Touchdown, es regnete – wir hatten also wirklich keine großartigen Aufnahmen. Wir kamen eine Saison später zurück und nahmen wieder den Stadionsound auf, als sie vier oder fünf Touchdowns erzielten, es war ein schönerer Tag, und wir bekamen bessere Aufnahmen."

Ende 2019, gerade als sich das Coronavirus über den Globus ausbreitete, hatten die Mitarbeiter von NFL Films neue Aufnahmen von jedem NFL-Stadion gemacht. Zu diesem Zeitpunkt konnten sie noch nicht wissen, wie wertvoll diese Aufnahmen bald sein würden.

Das nächste Level

Während andere Sportligen im vergangenen Frühjahr abrupt den Betrieb einstellen mussten, um dann im Frühsommer langsam wieder starten zu können, befand sich die NFL in der beneidenswerten Lage, ihre Offseason ohne allzu große Unterbrechungen abwickeln zu können. Darüber hinaus hatte der Football den Vorteil, dass er Zeit und Gelegenheit hatte, zu beobachten, wie die anderen Ligen Spiele ohne anwesende Fans ausrichteten und übertrugen.

In der Zwischenzeit begannen Caputo und seine Kollegen von NFL Films mit der Bearbeitung ihrer riesigen Audiosammlung. Sie nahmen auch an einer Präsentation von FOX Sports teil, bei der ein aufwändiges Audiosystem für Zuschauergeräusche vorgeführt wurde, das der Sender für seine Major League Baseball-Berichterstattung verwendete. FOX setzte bis zu acht Personen für diese Aufgabe ein, eine Zahl, die Caputo für die Zwecke der NFL als viel zu hoch empfand. Sein Ziel war es, ein Ein-Mann-System für Sportübertragungen zu entwickeln, das sich von den anderen unterscheidet

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"Fußball hat zum Beispiel eine andere Art von Publikum. Da gibt es diesen ständigen Geräuschpegel mit den Fangesängen und allem", erklärt Caputo. "Ein NFL-Spiel ist sehr dynamisch. Es gibt so viele verschiedene Höhen und Tiefen, so viele weitere Momente. Football kann mal sehr leise, mal sehr laut sein, und alles mögliche dazwischen."

"Wenn jemand einen Touchdown erzielt, gibt es etwa zwei Sekunden lang Jubel, dann kommt Musik und die Lautsprecheranlage. Also mussten wir das alles herausschneiden, was eine Menge Schnitt und Können erforderte."

Caputo und sein Team wollten 32 verschiedene Mitarbeiter – einen für jedes der 32 Teams –, um verschiedene Ebenen der allgemeinen Atmosphäre auswählen zu können. Ein Stadion voller Menschen, die nichts tun, würde zum Beispiel als Level 1 bezeichnet werden.

Level 2 wäre eine etwas gesteigerte, aufgeregte Menge, etwa wenn das Heimteam den Ball in der Offense hat. Bei Level 3 ist das Heimteam in der Defense, aber während einer First-Down-Situation, also nicht unbedingt ein kritischer Moment. Wenn die Fans durchdrehen und versuchen, den gegnerischen Quarterback bei einem dritten Versuch abzulenken? Das ist Level 4.

"Mit der einen Hand", fährt Caputo fort, "wählt man das Ambiente aus, und mit der anderen feuert man verschiedene Grade positiver und negativer Reaktionen ab, je nachdem, was bei dem Spielzug passiert. Es gibt drei Stufen von positiven Reaktionen – niedrig, mittel und hoch. Aber es wird nicht immer wieder der gleiche Sound abgespielt. Die Auswahl erfolgt nach dem Zufallsprinzip. Denken Sie an die Zufallswiedergabe Ihres iPods. Es wird nicht vorhersehbar. Genau wie eine echte Menschenmenge organisch reagieren würde."

Klingt ideal. Aber wie lässt sich das umsetzen?

Next-Gen Software

Caputo arbeitete in der Folge mit seinem Team von 10 Leuten und mit Robert Brock, einem Klangexperten vom Conservatory of Recording Arts and Sciences in Arizona, daran, maßgeschneiderte Audio-Kataloge mit den verschiedenen Sounds für alle 32 Teams, einschließlich der New England Patriots, zu erstellen. Es war ein aufwändiger und mühsamer Prozess, da alle Sounds angehört und digital in einer neuen Software kategorisiert werden mussten.

Doch im Spätsommer hatte NFL Films dann genau das, was sie wollten: eine maßgeschneiderte Software mit Stadionsounds für alle 32 Teams, plus eine generische Version. Für die Los Angeles Rams, Los Angeles Chargers und den Las Vegas Raiders, die 2020 in neu eröffneten Stadien spielen, wurden Aufnahmen aus den alten Heimstätten der Mannschaften verwendet.

Das letzte Problem …

… wer wählt die Sounds am Ende aus. "Es musste jemand sein", so Caputo, "der einen gewissen Hintergrund in der Audioproduktion und ein gewisses Maß an technischen Fähigkeiten hat. Das Wichtigste war, dass sie ein Fan des Heimteams sind. Ich fand es wirklich wichtig, dass sie sich mit der Fangemeinde identifizieren können und wissen, wie es im Stadion klingt."

Es erwies sich als relativ einfach, 64 qualifizierte Personen zu finden – 32 Hauptverantwortliche und eine gleiche Anzahl von Ersatzleuten. Sie alle zu schulen, war schon etwas aufwändiger. Unter dem Strich ist jetzt bei jedem Spiel ein Operator vor Ort, schaut sich die Live-Action an und sorgt mit der Software dafür, dass immer die passenden Stadion-Geräusche zu hören sind. 

Jeder Sender, der NFL-Spiele überträgt, hat unterschiedliche Vorlieben, wenn es um die Lautstärke und die Menge der Zuschauergeräusche geht, die sie verwenden. Und die jeweiligen Crews der Sender kontrollieren diesen Aspekt des Tons, den der Fernsehzuschauer am Ende hört. Wenn es jedoch um die spezifischen Geräusche geht, wird das alles von den 32 einzigartigen Crowd-Noise-Operators kontrolliert.

Sowohl Caputo als auch Brock haben die Möglichkeit, jederzeit aus der Ferne direkt auf jeden der 32 Laptops zuzugreifen, um Störungen zu beheben oder Geräusche zu bearbeiten, die es erfordern – zum Beispiel einen verirrten Schiedsrichterpfiff oder eine störende Person, die schreit. Außerdem wurden wöchentliche Meetings mit allen Verantwortlichen abgehalten, um zu bewerten, wie der Prozess gelaufen ist, um noch vorhandene Fehler zu korrigieren, Bedenken anzusprechen und den Arbeitsablauf zu verfeinern. Dazu gehörte auch die Anweisung, "mit 'Buhrufen' vernünftig umzugehen", wie Caputo es ausdrückte.

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"Wir buhen nicht die Spieler aus, wir buhen nicht das Team aus", fährt er fort. "Wenn man eine Entscheidung des Schiedsrichters ausbuhen will, mit der die Fans nicht einverstanden sind, ist das in Ordnung. Aber eine Person sollte nicht dafür verantwortlich sein, ob 70.000 Menschen buhen oder nicht. Das wollen wir nicht, und wir wollen nicht, dass jemand diese Person dafür verantwortlich machen kann."

Aus diesem Grund wurden die Identitäten aller 64 Mitarbeiter vor der Öffentlichkeit geheim gehalten.

Am Besten gar nicht auffallen

In der Vergangenheit haben die Spieler der New England Patriots, wenn es um Kritik von außen an ihrem Team ging, besonders gerne gesagt: "Ignorieren Sie den Lärm." Caputo hofft, dass die Fans, die sich die Spiele in diesem Jahr zu Hause ansehen, das Gleiche getan haben.

"Die Operator sind jetzt wie Offensive Linemen", sagt er über die Betreiber des Stadiongeräusche. "Man nimmt sie überhaupt nicht mehr wahr, es sei denn, sie machen einen Fehler. Das ist also ein Gewinn für uns. Jedes Spiel klingt anders. Jede Netzwerkübertragung klingt anders. Wir hoffen, dass es sich ein bisschen anders anhört, wenn man von einem Spiel zu einem anderen Spiel umschaltet."

"Ich freue mich sehr über die vielen Gelegenheitsfans, wie meine Freunde außerhalb der Arbeit, die den Unterschied gar nicht bemerken. Und das ist wirklich das Ziel: Den Zuschauern das Gefühl geben, dass sie einfach nur Football schauen. Ich denke, es wäre sehr ablenkend, wenn [der Lärm der Zuschauer] nicht da wäre."

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